Stellen Sie sich vor, Sie ziehen in eine neue Wohnung. Alles wirkt sauber, modern, einladend. Doch hinter den Wänden könnte eine versteckte Gefahr lauern: eine veraltete, überlastete oder unsachgemäß installierte Elektroanlage. Jedes Jahr kommen in Deutschland Hunderte Brandfälle durch elektrische Defekte zustande - viele davon hätten mit einer einfachen Prüfung verhindert werden können. Die gute Nachricht: Sie müssen kein Elektriker sein, um die wichtigsten Warnsignale zu erkennen. Aber Sie müssen wissen, worauf Sie achten müssen.
Warum eine Elektroinstallation regelmäßig geprüft werden muss
In Deutschland gilt die Norm DIN VDE 0100-600 als Maßstab für elektrische Anlagen in Wohngebäuden. Laut dieser Regelung sollte eine vollständige Prüfung alle vier Jahre erfolgen. Das ist keine Empfehlung, sondern eine klare Sicherheitsvorgabe. Warum so häufig? Weil sich die Anforderungen an Stromverbrauch drastisch verändert haben. Vor 20 Jahren hatte ein Haushalt vielleicht einen Kühlschrank, einen Fernseher und eine Waschmaschine. Heute kommen Smart Home Systeme, Ladestationen für Elektroautos, zusätzliche Küchengeräte und Photovoltaikanlagen dazu. Diese Lasten überlasten alte Leitungen, die für weniger Strom ausgelegt wurden.Ein Fehlerstromschutzschalter (RCD), der vor 15 Jahren installiert wurde, ist heute oft nicht mehr ausreichend. Er könnte nicht mehr schnell genug abschalten, wenn ein Kurzschluss auftritt. Und das ist kein theoretisches Szenario. Laut der Initiative ELEKTRO+ sind in über 60 % der älteren Wohnungen, die nicht in den letzten fünf Jahren geprüft wurden, Sicherheitsmängel vorhanden - oft unsichtbar, aber lebensgefährlich.
Was genau wird bei einer Elektroprüfung kontrolliert?
Eine ordnungsgemäße Prüfung geht weit über das bloße Einstecken eines Prüfgeräts hinaus. Sie umfasst mehrere Schritte, die nur von qualifizierten Fachbetrieben durchgeführt werden dürfen. Der sogenannte E-Check ist ein anerkanntes Prüfsiegel, das von Innungsfachbetrieben ausgestellt wird. Hier ist, was dabei untersucht wird:- Sichtprüfung: Alle Steckdosen, Schalter, Leuchten und der Sicherungskasten werden auf sichtbare Schäden kontrolliert. Ist eine Steckdose verbrannt? Gibt es Risse im Gehäuse? Sind Kabel lose oder abgenutzt? Das sind klare Warnsignale.
- Isolationswiderstand: Messgeräte prüfen, ob die Isolierung der Leitungen noch intakt ist. Ein Wert unter 1 MΩ gilt als kritisch - das bedeutet, dass Strom ungewollt durch die Wand oder Boden leiten könnte.
- Schutzleiterwiderstand: Dieser Wert zeigt, wie gut die Erdung funktioniert. Bei schlechter Erdung kann ein elektrischer Schlag die Folge sein, selbst wenn das Gerät „normal“ läuft.
- Funktionsprüfung von Schutzeinrichtungen: Der Fehlerstromschutzschalter (RCD) wird getestet, ob er innerhalb von 0,3 Sekunden abschaltet, wenn ein Stromleck entsteht. Das ist lebenswichtig, besonders in Bädern oder Küchen.
- Überlastprüfung: Werden zu viele Geräte an einem Stromkreis betrieben? Ein alter Stromkreis mit 16 A kann heute bei gleichzeitigem Betrieb von Waschmaschine, Spülmaschine und Kaffeemaschine überlastet werden - mit Brandgefahr.
Die Prüfung erstreckt sich vom Sicherungskasten bis zur letzten Steckdose im Keller. Auch die Beleuchtung, die Lüftungsanlage und alle fest installierten Geräte werden einbezogen.
Typische Sicherheitsmängel, die immer wieder auftreten
Nicht alle Mängel sind offensichtlich. Hier sind die fünf häufigsten Probleme, die Prüfer in Wohnimmobilien finden:- Kein Fehlerstromschutzschalter: In vielen Altbauten aus den 70er und 80er Jahren fehlen RCDs völlig. Das ist heute illegal, wenn eine Anlage modernisiert wird.
- Überlastete Stromkreise: Ein einzelner Stromkreis für Küche und Wohnzimmer ist ein klassischer Fehler. Moderne Geräte verbrauchen zu viel Strom - die Leitungen werden heiß, die Isolierung bricht.
- Veraltete Sicherungskästen: Sicherungen mit Sicherungsdraht statt Leitungsschutzschaltern sind veraltet. Sie reagieren zu langsam und können bei Kurzschluss schmelzen, statt abzuschalten.
- Undichte oder lose Kabelverbindungen: Diese sind oft hinter Steckdosen oder im Sicherungskasten zu finden. Sie erzeugen Funken, Hitze und können Feuer auslösen.
- Fehlende oder beschädigte Erdung: Besonders in Badezimmern oder bei Waschmaschinen ist eine funktionierende Erdung entscheidend. Ohne sie ist ein tödlicher Stromschlag möglich.
Und dann gibt es noch die unsichtbaren Gefahren: Smart Home-Systeme, die über alte Kabel laufen, oder eine Wallbox für das Elektroauto, die ohne Anpassung der Gesamtanlage angeschlossen wurde. Das ist kein Seltenheitsfall - und oft die Ursache für plötzliche Stromausfälle oder Brände.
Wann ist eine Prüfung unbedingt notwendig?
Sie müssen nicht auf die vier-Jahres-Frist warten. Es gibt konkrete Anlässe, bei denen eine Prüfung Pflicht sein sollte - und oft auch sinnvoll:- Beim Kauf einer Immobilie: Obwohl in Deutschland nicht gesetzlich vorgeschrieben, ist ein E-Check vor dem Kauf die beste Absicherung. Viele Käufer verlangen ihn heute als Standard.
- Beim Mieterwechsel: Der Vermieter ist verpflichtet, die Anlage in einem sicheren Zustand zu halten. Ein Prüfprotokoll schützt ihn vor Haftungsansprüchen.
- Bei Renovierungen oder Sanierungen: Wenn Wände aufgebrochen oder neue Räume entstehen, muss die Elektroanlage angepasst werden. Eine Prüfung danach ist essenziell.
- Beim Einbau einer Wallbox oder Photovoltaikanlage: Diese Geräte ziehen hohe Ströme. Die bestehende Anlage muss dafür ausgelegt sein - sonst droht Überlastung.
- Wenn Sie Geräte häufig abschalten oder Lichter flackern: Das sind klare Anzeichen für eine instabile Anlage. Nicht ignorieren!
Der Unterschied zwischen Deutschland und der Schweiz
In der Schweiz ist die Prüfung der Elektroinstallation bei einem Immobilienverkauf gesetzlich vorgeschrieben. Außerdem muss sie alle 20 Jahre wiederholt werden - und das mit strenger Aufsicht durch das Eidgenössische Starkstrominspektorat (ESTI). Wer nicht prüfen lässt, riskiert Bußgelder und kann sogar zur Nachbesserung verpflichtet werden.In Deutschland ist das anders. Hier gibt es keine gesetzliche Verpflichtung für Wohnimmobilien - außer bei gewerblichen Nutzungen. Das führt dazu, dass viele Eigentümer die Prüfung vernachlässigen. Dabei ist der E-Check ein bewährtes Instrument, das von Innungsbetrieben standardisiert durchgeführt wird. Er bietet nicht nur Sicherheit, sondern auch einen Nachweis für Versicherungen. Einige Versicherer fordern ihn bereits als Voraussetzung für den Brandschutz.
Dokumentation ist der Schlüssel
Eine Prüfung ohne Protokoll ist wie eine Fahrzeugprüfung ohne TÜV-Plakette. Nach der Inspektion erhält der Eigentümer ein Prüfprotokoll, das alle Messwerte, festgestellten Mängel und empfohlene Maßnahmen enthält. Dieses Dokument sollte immer aufbewahrt werden - und am besten auch dem Mieter oder künftigen Käufer vorgelegt werden.Bei Mängeln wird eine Frist zur Behebung festgelegt - meist 6 bis 12 Wochen. Wichtig: Der Elektriker, der die Prüfung durchführt, darf nicht derselbe sein, der die Mängel behebt. Das ist ein klarer Trennungsgrundsatz, um Unabhängigkeit zu gewährleisten. Nur so bleibt der Prüfbericht glaubwürdig.
Was tun, wenn Mängel gefunden werden?
Wenn der Prüfer Mängel feststellt, bekommen Sie eine schriftliche Liste mit Prioritäten. Einige Punkte sind dringend, andere können später behoben werden. Hier ist, wie Sie vorgehen:- Lesen Sie das Protokoll genau. Fragwürdige Punkte klären Sie mit dem Prüfer - er muss sie erklären können.
- Beauftragen Sie einen anderen, zugelassenen Elektriker mit der Behebung. Vermeiden Sie Heimwerker- oder billige Lösungen.
- Stellen Sie sicher, dass alle Arbeiten nach DIN VDE 0100-600 durchgeführt werden.
- Lassen Sie nach der Reparatur eine Nachprüfung machen. Sie brauchen den Nachweis, dass die Mängel behoben sind.
- Behalten Sie alle Dokumente - für Ihre Versicherung, für den Verkauf, für Ihre eigene Sicherheit.
Ein Mangel, der nicht behoben wird, kann später zu Haftungsproblemen führen - besonders wenn ein Schaden eintritt. Versicherungen prüfen oft, ob regelmäßige Prüfungen durchgeführt wurden. Wer sie ignoriert, riskiert, dass der Schadensersatz verweigert wird.
Was erwartet uns in Zukunft?
Die Nachfrage nach Elektro-Prüfungen steigt. Mit der zunehmenden Verbreitung von Elektroautos, Photovoltaik und Smart Home-Systemen wird die Belastung der Anlagen weiter wachsen. Experten prognostizieren, dass die Prüffrist in Deutschland künftig vielleicht auf drei Jahre verkürzt wird - besonders in Neubauten mit hohem Energieverbrauch.Auch die Technik wird sich verändern. Moderne Prüfgeräte arbeiten digital, protokollieren automatisch und senden Daten direkt an die Behörden. In einigen Bundesländern gibt es bereits Pilotprojekte, bei denen Prüfungen mit QR-Codes dokumentiert werden - ein Schritt in Richtung Transparenz und Nachvollziehbarkeit.
Was bleibt, ist die einfache Wahrheit: Elektrizität ist unsichtbar. Aber ihre Folgen sind oft sichtbar - in Form von Brandspuren, zerstörten Geräten oder, schlimmer noch, Verletzungen. Eine regelmäßige Prüfung ist keine Kostenstelle. Sie ist eine Investition in Sicherheit. Und die ist unbezahlbar.