Wenn Sie einen Immobilienkredit vorzeitig ablösen, weil Sie umschulden wollen oder Ihre Finanzen sich verändert haben, können Sie plötzlich vor einer hohen Rechnung stehen: der Vorfälligkeitsentschädigung. Viele Hausbesitzer in Deutschland sind überrascht, wie hoch diese Zahlung ausfallen kann - oft mehr als 10.000 Euro. Dabei ist sie nicht einfach eine Strafe, sondern ein rechtlicher Ausgleich für die Bank. Doch wie genau wird sie berechnet? Und gibt es Wege, sie zu vermeiden oder zumindest zu minimieren?
Was ist die Vorfälligkeitsentschädigung wirklich?
Die Vorfälligkeitsentschädigung (VFE) ist keine Strafe, sondern ein finanzieller Ausgleich, den Sie an Ihre Bank zahlen, wenn Sie einen Festzinskredit vor Ablauf der vereinbarten Zinsbindungsfrist zurückzahlen. Die Bank hat bei der Kreditvergabe mit einem bestimmten Zinssatz gerechnet - zum Beispiel 1,5 % über 10 Jahre. Wenn Sie nach 5 Jahren ablösen, verliert sie diese sicheren Einnahmen. Sie muss das Geld nun am Kapitalmarkt wieder anlegen, aber bei niedrigeren Zinsen - etwa 3 % statt 4,5 %. Die Differenz ist ihr Verlust. Die VFE soll diesen Verlust ausgleichen.Diese Regelung ist im Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) deutsches Gesetzbuch, das die Rechte und Pflichten von Vertragsparteien regelt festgelegt, konkret in § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB Vorschrift, die das Recht zur vorzeitigen Kündigung von Festzinskrediten und die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung regelt. Sie gilt für fast alle Immobilienkredite in Deutschland, egal ob von einer Großbank, einer Sparkasse oder einer Genossenschaftsbank.
Wie wird die Vorfälligkeitsentschädigung berechnet?
Es gibt keine einheitliche Formel, aber alle Banken orientieren sich an einem gemeinsamen Prinzip: Die Differenz zwischen dem alten Zinssatz und dem aktuellen Marktzins, multipliziert mit der Restschuld und der verbleibenden Laufzeit.Die Bank berechnet, wie viel Zins sie verloren hat, wenn sie das Geld jetzt anlegen müsste. Sie vergleicht den Zinssatz Ihres Kredits mit dem Zinssatz von Bundesanleihen oder anderen sicheren Anlagen mit derselben Restlaufzeit. Die Differenz wird auf die Restschuld angerechnet und über die verbleibenden Monate oder Jahre hochgerechnet. Oft wird auch ein Zinsabschlag von 0,5 % bis 1 % abgezogen, um die Bankkosten zu berücksichtigen.
Ein konkretes Beispiel: Sie haben einen Kredit von 200.000 Euro mit 10-jähriger Zinsbindung zu 1,2 % aufgenommen. Nach 5 Jahren beträgt die Restschuld 150.000 Euro. Der aktuelle Zins für 5-jährige Bundesanleihen liegt bei 3,8 %. Die Bank berechnet nun die Differenz: 3,8 % - 1,2 % = 2,6 %. Diese 2,6 % werden auf 150.000 Euro angerechnet - das sind 3.900 Euro pro Jahr. Über 5 Jahre sind das 19.500 Euro. Die Bank zieht dann 1-2 % als Abschlag ab - am Ende bleiben etwa 16.000 bis 18.000 Euro übrig. Das ist weit über dem, was viele Verbraucher erwarten.
Die meisten Banken geben keine vollständige Rechnung vor. Sie nennen nur den Endbetrag. Doch laut Bundesgerichtshof (BGH) höchstes deutsches Gericht für Zivil- und Strafrecht, das 2022 entschied, dass Banken die VFE detailliert nachweisen müssen müssen sie Ihnen auf Anfrage die Berechnung schriftlich erklären - mit Zinssätzen, Laufzeit und verwendeten Anleihen.
Warum ist die VFE so hoch - und warum ist sie umstritten?
In Deutschland ist die VFE deutlich höher als in anderen Ländern. In Österreich ist sie auf maximal 1 % der Restschuld begrenzt. In den Niederlanden oder der Schweiz gibt es oft gar keine VFE. In Deutschland hingegen gibt es keine gesetzliche Obergrenze - nur eine Richtlinie, die viele Banken freiwillig einhalten: bis zu 1 % der Restschuld pro verbleibendem Jahr. Das bedeutet: Bei 5 Jahren Restlaufzeit können bis zu 5 % fällig werden - bei 150.000 Euro sind das 7.500 Euro. In der Praxis liegen die Werte oft bei 6-8 %, besonders bei hohen Zinsdifferenzen.Die Kritik kommt von Verbraucherschützern und Experten. Die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) deutsche Verbraucherschutzorganisation, die seit 2020 eine gesetzliche Obergrenze von 2 % fordert fordert seit Jahren eine Obergrenze von 2 % der Restschuld - unabhängig von der Laufzeit. Sie argumentieren: Die Banken haben genug Puffer durch höhere Zinsen in der Vergangenheit. Die Banken dagegen warnen: Wenn die VFE zu niedrig wäre, würden sie höhere Zinsen verlangen, um das Risiko abzusichern.
Ein weiteres Problem: Transparenz. Eine Umfrage von Finanzcheck.de Verbraucherportal, das 2023 eine Umfrage unter 850 Nutzern zur VFE durchführte ergab: 42 % der Befragten konnten die Berechnung ihrer Bank nicht nachvollziehen. 28 % versuchten, einen unabhängigen Gutachter zu beauftragen - aber die meisten Banken weigern sich, die Daten dafür bereitzustellen. Das ist rechtlich problematisch, denn der BGH hat klargestellt: Die Bank muss die Berechnung nachweisen - nicht nur den Endbetrag nennen.
Wie können Sie die Vorfälligkeitsentschädigung vermeiden?
Es gibt mehrere Wege, die VFE zu umgehen - wenn Sie früh genug planen.- Sondertilgung nutzen: Fast jeder Kreditvertrag erlaubt jährlich 2-5 % der ursprünglichen Darlehenssumme ohne VFE. Wenn Sie 200.000 Euro geliehen haben, können Sie pro Jahr bis zu 10.000 Euro extra zurückzahlen - ohne Strafe. Das reduziert die Restschuld und damit auch die spätere VFE. Viele nutzen das nicht - und verpassen so eine einfache Chance.
- Auf den Ablauf der Zinsbindung warten: Die meisten Kredite haben eine Zinsbindung von 10 oder 15 Jahren. Drei Monate vor Ablauf können Sie den Vertrag kündigen - ohne VFE. Das ist der sicherste Weg. Planen Sie früh: Wenn Ihre Zinsbindung in 14 Monaten endet, beginnen Sie jetzt mit der Suche nach einem neuen Kredit.
- Immobilien wechseln: Wenn Sie umziehen, können Sie Ihren Kredit auf die neue Immobilie übertragen - wenn die Bank das erlaubt. Viele Banken bieten sogenannte „Kredittransfer“-Optionen an. So vermeiden Sie die VFE, weil der Kredit nicht abgelöst, sondern nur verlegt wird.
- Vertrag mit Obergrenze abschließen: Beim Abschluss des Kredits können Sie verlangen, dass die VFE auf 2 % der Restschuld begrenzt wird. Das ist oft verhandelbar, besonders bei größeren Darlehen. Viele Banken akzeptieren das - es ist ein Verkaufsargument.
Was tun, wenn die VFE zu hoch ist?
Sie haben bereits eine Rechnung erhalten und sie erscheint Ihnen unangemessen? Dann handeln Sie.- Fordern Sie die vollständige Berechnung schriftlich an - laut BGH haben Sie das Recht darauf.
- Prüfen Sie die verwendeten Zinssätze: Sind es wirklich Bundesanleihen mit gleicher Laufzeit? Oder hat die Bank künstlich niedrigere Zinsen genommen?
- Beauftragen Sie einen unabhängigen Finanzgutachter - viele Verbraucherzentralen bieten kostenlose Beratung an.
- Wenn die Berechnung nicht nachvollziehbar ist: Beschwerde bei der Bank, dann bei der Finanzombudsmann (www.finanzombudsmann.de).
Ein Fall aus Freiburg: Ein Kunde hatte 180.000 Euro Restschuld und eine VFE von 14.400 Euro. Die Bank hatte den Zins von 3,7 % statt 4,1 % verwendet - ein Unterschied von 0,4 %. Das machte 720 Euro aus. Nach Einspruch wurde die VFE auf 13.680 Euro korrigiert. Kleinere Fehler sind häufig.
Wie sieht die Zukunft aus?
Die Bundesregierung prüft seit 2023 eine Reform des BGB, um die VFE zu vereinheitlichen. Der Referentenentwurf vom Mai 2023 sieht vor, eine einheitliche Berechnungsmethode einzuführen - vielleicht sogar eine Obergrenze von 2 %. Die Deutsche Bundesbank prognostiziert bis 2025 eine Abnahme der durchschnittlichen VFE von 7,2 % auf 5,8 % - weil die Zinsen sinken werden.Auch neue Finanzierungsmodelle kommen: Flex-Zins-Kredite mit kürzeren Bindungsfristen (z. B. 5 Jahre statt 10) oder digitale Verträge, die automatisch die VFE berechnen und anzeigen. Die Fraunhofer-Studie sagt: In 10 Jahren wird die VFE nicht mehr so dominant sein - aber bis dahin bleibt sie ein Risiko für jeden, der vorzeitig umschulden will.
Die wichtigste Lektion: Planen Sie früh. Prüfen Sie Ihren Kreditvertrag. Nutzen Sie die Sondertilgung. Und fragen Sie immer nach der Berechnung - nicht nur nach dem Betrag. Denn wer versteht, wie die VFE funktioniert, kann sie nicht nur bezahlen - sondern manchmal auch vermeiden.
Wann fällt die Vorfälligkeitsentschädigung an?
Sie fällt an, wenn Sie einen Festzinskredit vor Ablauf der vereinbarten Zinsbindungsfrist ganz oder teilweise zurückzahlen - zum Beispiel durch Umschuldung, Verkauf der Immobilie oder hohe Sondertilgungen. Sie zahlen sie nicht, wenn Sie den Kredit nach Ablauf der Zinsbindung kündigen oder wenn Sie innerhalb der jährlichen Sondertilgungsgrenze (meist 2-5 %) zurückzahlen.
Gibt es eine gesetzliche Obergrenze für die Vorfälligkeitsentschädigung?
Nein, es gibt keine gesetzliche Obergrenze für Immobilienkredite. Bei einfachen Krediten (z. B. Autokredite) ist sie auf 1 % der Restschuld begrenzt. Bei Immobilienkrediten dürfen Banken bis zu 7-10 % verlangen - je nach Restlaufzeit und Zinsdifferenz. Einige Banken vereinbaren freiwillig eine Obergrenze von 2 %, aber das ist nicht verpflichtend.
Wie kann ich prüfen, ob die VFE meiner Bank korrekt berechnet ist?
Fordern Sie die vollständige Berechnung schriftlich an - die Bank muss Ihnen den verwendeten Zinssatz der Anleihen, die Restlaufzeit und die Berechnungsformel nennen. Vergleichen Sie die Zinssätze mit den offiziellen Daten der Deutschen Bundesbank oder dem Bundesfinanzministerium. Wenn die Zinsdifferenz unrealistisch niedrig oder die Laufzeit falsch angegeben ist, liegt ein Fehler vor. Verbraucherzentralen helfen bei der Prüfung.
Kann ich die Vorfälligkeitsentschädigung steuerlich absetzen?
Nein, die Vorfälligkeitsentschädigung ist keine abzugsfähige Werbungskosten. Sie ist eine Kosten des Kreditvertrags und wird als privater Aufwand gewertet. Sie können sie nicht von der Einkommensteuer abziehen - egal ob Sie die Immobilie vermieten oder selbst bewohnen.
Was passiert, wenn ich die VFE nicht zahlen kann?
Wenn Sie die VFE nicht zahlen können, kann die Bank die vorzeitige Ablösung verweigern. Sie müssen dann entweder den Kredit weiterlaufen lassen oder den Verkauf der Immobilie verschieben. In seltenen Fällen kann die Bank eine Ratenzahlung akzeptieren - aber das ist nicht verpflichtend. Ein Kredit ohne VFE ist nicht möglich, wenn der Vertrag sie vorsieht.