Ein Energieausweis ist kein bloßes Papier, das man am Ende des Kaufvertrags unterschreibt. Er ist ein entscheidendes Dokument, das über Tausende von Euro in den nächsten Jahren entscheidet - und wer ihn ignoriert, riskiert nicht nur Bußgelder, sondern auch Schadensersatzklagen. In Deutschland ist er seit 2014 für fast alle Immobilien verpflichtend, und die Regeln sind streng. Doch viele Verkäufer:innen wissen nicht, was sie wirklich tun müssen - und viele Käufer:innen unterschätzen, wie sehr dieser Ausweis ihren Kauf beeinflusst.
Was ist der Energieausweis wirklich?
Der Energieausweis ist ein offizielles Dokument, das den energetischen Zustand eines Gebäudes bewertet. Er zeigt, wie viel Energie das Haus oder die Wohnung verbraucht - und damit, wie teuer Heizen und Warmwasser werden. Die Bewertung erfolgt auf einer Skala von A+ (sehr effizient) bis H (sehr ineffizient). Dazu kommen konkrete Zahlen: der Endenergiebedarf in kWh pro Quadratmeter und Jahr, die CO2-Emissionen und der Primärenergiebedarf. Außerdem enthält er konkrete Sanierungsempfehlungen, etwa ob eine neue Heizung oder bessere Fenster sinnvoll wären.
Es gibt zwei Arten: den Bedarfsausweis und den Verbrauchsausweis. Der Bedarfsausweis berechnet den theoretischen Energiebedarf des Gebäudes - also wie viel Energie es eigentlich brauchen würde, wenn es perfekt gedämmt wäre. Der Verbrauchsausweis hingegen basiert auf den tatsächlichen Energieverbräuchen der letzten drei Jahre. Für Wohngebäude, die vor dem 1. November 1977 gebaut wurden und bis zu vier Wohnungen haben, ist der Bedarfsausweis verpflichtend. Bei Neubauten oder sanierten Gebäuden nach 1977 kann der Verbrauchsausweis reichen - aber nur, wenn die Verbrauchsdaten aktuell und vollständig sind.
Wann muss der Energieausweis vorgelegt werden?
Die Pflicht beginnt lange vor dem Notartermin. Sobald eine Immobilie angeboten wird - egal ob in einer Anzeige, auf einer Website oder in einer Flyerbroschüre - muss der Energieausweis bereits angegeben werden. In der Anzeige müssen mindestens vier Angaben stehen: das Baujahr, die Effizienzklasse, der Energieträger für die Heizung und der Endenergiebedarf oder -verbrauch. Wenn der Ausweis nicht existiert oder abgelaufen ist, darf die Anzeige diese Angaben nicht enthalten. Das ist kein kleiner Fehler - das ist eine Ordnungswidrigkeit.
Bei der Besichtigung muss der Verkäufer den Energieausweis physisch vorlegen. Eine E-Mail mit einer PDF-Datei reicht nicht. Ein Käufer, der den Ausweis nicht in Händen hält, hat keinen rechtlichen Anspruch auf vollständige Information. Und das ist kein Detail - das ist zentral. Wer den Ausweis nicht vorlegt, macht sich strafbar, selbst wenn er später nachreicht.
Und dann kommt der Kaufvertrag. Spätestens jetzt muss der Verkäufer den Energieausweis oder eine beglaubigte Kopie an den Käufer übergeben. Das ist nicht optional. Es ist gesetzlich verankert in § 16 Abs. 2 Satz 1 des Gebäudeenergiegesetzes. Der Notar prüft das nicht, um den Vertrag zu verhindern - er prüft es, um zu dokumentieren, dass es passiert ist. Wenn kein Ausweis vorliegt, schreibt er das in den Vertrag. Aber der Verkäufer bleibt trotzdem in der Pflicht. Der Vertrag bleibt gültig - aber die Ordnungswidrigkeit bleibt auch.
Was passiert, wenn man den Energieausweis nicht vorlegt?
Die Strafen sind kein Schnellschuss - sie sind hart. Verkäufer:innen riskieren Bußgelder von bis zu 15.000 Euro. Makler:innen, die den Ausweis nicht in der Anzeige angeben oder nicht bei der Besichtigung vorlegen, können bis zu 10.000 Euro zahlen - und verlieren gleichzeitig ihren Provisionsanspruch. Das ist kein theoretisches Risiko. In Freiburg wurde 2023 ein Makler wegen eines abgelaufenen Ausweises in einer Anzeige mit 8.500 Euro bestraft. Der Käufer hatte den Vertrag unterschrieben, ohne den Ausweis zu sehen - und klagte später auf Schadensersatz, weil die Heizkosten doppelt so hoch waren wie angegeben.
Und das führt zum größten Risiko: falsche Angaben. Wenn der Energieausweis falsch berechnet wurde - etwa weil der Heizölverbrauch unterschätzt wurde oder die Dämmung nicht korrekt erfasst wurde - kann das als arglistige Täuschung gewertet werden. Ein Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz aus dem Jahr 2021 hat das klargestellt: Ein Käufer durfte den Kaufpreis um 18.000 Euro mindern, weil der Energieausweis den tatsächlichen Verbrauch um 40 % unterschätzte. Die Wohnung war laut Ausweis in Klasse F, tatsächlich lag sie bei H. Der Verkäufer hatte den Ausweis nicht überprüft - und musste dafür zahlen.
Was ist mit Ausnahmen?
Nicht jedes Gebäude braucht einen Energieausweis. Denkmalgeschützte Gebäude sind ausgenommen - wenn sie offiziell unter Denkmalschutz stehen und eine Sanierung die historische Substanz beeinträchtigen würde. Auch Gebäude mit weniger als 50 Quadratmetern Nutzfläche brauchen keinen Ausweis. Das sind meist kleine Werkstätten, Abstellräume oder sehr kleine Wohnungen. Aber: Wenn ein Gebäude mehr als 50 Quadratmeter hat - selbst wenn es nur eine kleine Wohnung ist - dann gilt die Pflicht.
Und was ist mit Mischgebäuden? Wenn ein Haus unten ein Geschäft und oben Wohnungen hat, müssen die Teile getrennt bewertet werden. Die Wohnbereiche brauchen einen Wohngebäude-Ausweis, der Gewerbeteil einen Gewerbe-Ausweis. Das ist kompliziert - aber nicht optional. Viele Verkäufer:innen denken, sie könnten den gesamten Ausweis einfach als „Gewerbe“ ausweisen - das ist ein klassischer Fehler. Der Notar prüft das nicht, aber der Käufer kann später klagen.
Wie lange ist der Energieausweis gültig?
Der Energieausweis ist zehn Jahre lang gültig - das ist eine feste Regel. Aber: Er wird mit der Zeit unbrauchbar. Die Energiepreise sind seit 2022 dramatisch gestiegen. Ein Ausweis aus 2020, der noch „gültig“ ist, sagt heute nichts mehr über die tatsächlichen Kosten aus. Ein Käufer, der sich auf einen alten Ausweis verlässt, läuft Gefahr, sich zu überschätzen. Experten wie Dr. Markus Lehmann von greenox warnen vor der „Energieausweis-Lotterie“: Viele Verkäufer:innen nutzen alte Papiere, weil sie nicht wissen, dass sie aktualisiert werden müssen - oder weil sie den Aufwand scheuen.
Und das ist ein großes Problem. Eine Umfrage des Instituts für Standardisierung aus dem Jahr 2023 ergab: Bei 20 % aller Immobilienverkäufe lag kein gültiger Energieausweis vor. 28 % der Ausweise waren veraltet, 22 % enthielten falsche Werte, 19 % wurden falsch typisiert - also ein Verbrauchsausweis statt Bedarfsausweis verwendet. Das ist kein Zufall. Das ist Systemfehler.
Kann man den Energieausweis einfach ignorieren?
Nein. Selbst wenn Käufer und Verkäufer im Kaufvertrag schriftlich vereinbaren, dass der Energieausweis nicht übergeben wird - diese Vereinbarung ist rechtlich unwirksam. Das hat das Bundesgerichtshof in mehreren Urteilen klargestellt. Der Energieausweis ist eine öffentliche Pflicht, kein privater Vertrag. Wer ihn nicht gibt, macht sich strafbar - egal, was im Vertrag steht. Und der Käufer kann trotzdem Schadensersatz verlangen, wenn die tatsächlichen Energiekosten höher sind als im Ausweis angegeben.
Das ist der entscheidende Punkt: Der Energieausweis ist kein „Zusatzdokument“. Er ist ein Kernbestandteil des Kaufvertrags. Wer ihn unterschätzt, verliert nicht nur Geld - er verliert Rechtssicherheit.
Was tun, wenn der Energieausweis fehlt oder falsch ist?
Wenn du als Käufer:in den Energieausweis nicht vor der Besichtigung siehst - geh nicht hinein. Frage nach. Wenn der Verkäufer sagt, „den haben wir nicht mehr“ oder „der ist abgelaufen“ - dann ist das kein Grund, den Kauf zu verschieben. Das ist ein Warnsignal. Fordere eine neue Ausstellung an. Ein Energieberater kann den Bedarfsausweis innerhalb von zwei Wochen erstellen - das ist kein großer Aufwand, aber ein großer Schutz.
Wenn du als Verkäufer:in einen alten Ausweis findest - prüfe ihn. Ist er älter als fünf Jahre? Sind die Heizkosten seitdem gestiegen? Dann lass ihn erneuern. Ein neuer Ausweis kostet zwischen 100 und 300 Euro - je nach Größe des Gebäudes. Das ist ein Bruchteil der möglichen Schadensersatzforderungen. Und es erhöht den Verkaufswert. Immobilien mit A- oder B-Klasse verkaufen sich schneller und teurer. Eine Studie der Deutschen Energie-Agentur (dena) zeigt: Häuser mit einer Energieeffizienzklasse A+ verkaufen sich durchschnittlich 15 % schneller als solche mit F oder G.
Was kommt als Nächstes?
Die Regeln werden sich weiter verschärfen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz plant, dass ab 2030 nur noch Gebäude mit Energieeffizienzklasse C oder besser verkauft werden dürfen - ohne Sanierung. Das ist kein fernes Szenario. Es ist eine klare politische Richtung. Wer jetzt noch mit einem H-Ausweis verkaufen will, riskiert, dass seine Immobilie in ein paar Jahren gar nicht mehr verkauft werden kann.
Der Energieausweis ist nicht nur eine Formalität. Er ist ein Spiegelbild der Zukunft deiner Immobilie. Wer ihn ignoriert, zahlt später - mit Geld, mit Zeit, mit Rechtssicherheit.
Muss ich den Energieausweis wirklich bei jeder Besichtigung vorlegen?
Ja. Die Gesetze verlangen, dass der Energieausweis physisch vorgelegt wird - also als gedrucktes Dokument oder als Original-Download mit Unterschrift. Eine E-Mail mit einer PDF-Datei reicht nicht. Der Käufer muss den Ausweis in Händen halten, um seine Rechte wahrzunehmen. Wer das nicht tut, macht sich strafbar.
Was passiert, wenn der Energieausweis falsch ist?
Wenn der Ausweis falsche Angaben enthält - etwa weil der Heizölverbrauch unterschätzt wurde oder die Dämmung nicht erfasst wurde - kann das als arglistige Täuschung gelten. Der Käufer kann dann Schadensersatz verlangen oder den Kaufpreis mindern. Ein Gerichtsurteil aus Koblenz 2021 hat gezeigt: Eine Unterschätzung von 40 % reicht aus, um den Preis um 18.000 Euro zu senken.
Kann ich den Energieausweis einfach selbst erstellen?
Nein. Nur zertifizierte Energieberater dürfen Energieausweise ausstellen. Das ist gesetzlich geregelt. Selbst wenn du alle Daten hast - du darfst den Ausweis nicht selbst unterschreiben. Wer das tut, macht den Ausweis ungültig und riskiert Bußgelder. Die Kosten für einen neuen Ausweis liegen zwischen 100 und 300 Euro - das ist ein kleiner Preis für Rechtssicherheit.
Ist ein Energieausweis für Gewerbeimmobilien anders?
Ja. Für Gewerbegebäude reicht in der Regel der Verbrauchsausweis, auch wenn das Gebäude alt ist. Der Bedarfsausweis ist nicht verpflichtend - es sei denn, das Gebäude wird als Büro oder Laden vermietet und hat mehr als 500 Quadratmeter. Bei Mischgebäuden mit Wohn- und Gewerbenutzung müssen beide Teile separat bewertet werden. Das ist kompliziert - aber notwendig.
Was passiert, wenn ich den Energieausweis nicht übergebe, aber der Kaufvertrag unterschrieben ist?
Der Kaufvertrag bleibt gültig - aber du als Verkäufer:in begehst weiterhin eine Ordnungswidrigkeit. Der Notar hat das nur dokumentiert, nicht geprüft. Du kannst Bußgelder von bis zu 15.000 Euro bekommen. Und der Käufer kann Schadensersatz verlangen, wenn die tatsächlichen Energiekosten höher sind als angegeben. Der Vertrag ist nicht der Schutz - der Energieausweis ist es.